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Arbeiterbewegung von rechts?

Ungleichheit - Verteilungskämpfe - populistische Revolte

Erschienen am 04.10.2018, 1. Auflage 2018
28,00 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593509716
Sprache: Deutsch
Umfang: 359 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21.3 x 14 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Rechtspopulistische Parteien verzeichnen bei Wählerinnen und Wählern aus allen Klassen und Schichten der Bevölkerung Erfolge. Gerade bei Arbeiterinnen und Arbeitern stoßen sie jedoch besonders häufig auf Zustimmung. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Gefühle verletzter sozialer Gerechtigkeit und politischer Obdachlosigkeit verbinden sich mit fremdenfeindlichen Ressentiments. Rechte Orientierungen sind auch im Denken gewerkschaftlich organisierter und aktiver Arbeiterinnen und Arbeiter, bei Betriebsräten und ehrenamtlichen Funktionären, weitverbreitet. Das Buch nimmt diese Entwicklung zum Ausgangspunkt. Es versammelt Beiträge, die sich damit beschäftigen, weshalb rechtspopulistische Formationen bei Produktionsarbeiterinnen und -arbeitern überdurchschnittlichen Anklang finden und wie sich dieser autoritären Revolte wirksam begegnen lässt. Mit Beiträgen unter anderem von Brigitte Aulenbacher, Sophie Bose, Annelie Buntenbach, Silke van Dyk, Jörg Flecker, Dora Fonseca, Stefanie Graefe, Wilhelm Heitmeyer, Gudrun Hentges, Arlie Hochschild, Dirk Jörke, Klaus Kraemer, Adam Mrozowicki, Andreas Nölke, Birgit Sauer, Dieter Sauer und Hans-Jürgen Urban

Autorenportrait

Karina Becker, Dr. phil., ist wiss. Geschäftsführerin an der DFG-Kollegforschergruppe »Postwachstumsgesellschaften« an der Universität Jena. Klaus Dörre ist dort geschäftsführender Direktor und Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie. Peter ReifSpirek ist Sozialwissenschaftler und stellvertretender Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen.

Leseprobe

Zur Einführung: Arbeiterbewegung von rechts? Karina Becker, Klaus Dörre und Peter Reif-Spirek Die Bundestagswahl im September 2017 markiert eine Zäsur in der politischen Entwicklung der Bundesrepublik. Das traditionelle deutsche Parteiensystem, gruppiert um die zwei großen Volksparteien CDU und SPD, ist in dieser Wahl zusammengebrochen. Für die Partei Alternative für Deutschland (AfD) bedeutete sie den bundesweiten, parlamentarischen Durchbruch. Damit ist jene historische Phase der bundesdeutschen Geschichte beendet, in der Parteien rechts der CDU, zumal mit offensichtlichen Übergangsbereichen zur extremen Rechten, auf nationaler Ebene politisch nicht erfolgreich agieren konnten. "Die Imprägnierungsschicht gegen Rechtsextreme durch die NS-Geschichtsaufarbeitung ist gerissen" (Reinecke 2017), so ein Kommentar unmittelbar nach der Bundestagswahl. Schon lange sind Mentalitäten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtspopulistische Einstellungsmuster weit verbreitet, wie nicht zuletzt die Langzeit-Untersuchungen Deutsche Zustände von Wilhelm Heitmeyer zeigen. Sie fanden jedoch lange keinen eigenständigen politischen Ausdruck. Das ist nun nicht mehr so. Der Rechtspopulismus hat sich auch in Deutschland auf nationaler Ebene politisch formiert und allein darin liegt bereits ein Moment seiner Radikalisierung. Mit dem Aufstieg einer radikalen Rechten steht Deutschland nicht allein da. In anderen europäischen Staaten hat eine Stärkung rechtspopulistischer und rechtsextremer politischer Formationen bereits deutlich früher stattgefunden. In einigen nordeuropäischen Ländern, in Italien oder in Österreich werden solche Formationen nunmehr als Koalitionspartner demokratischer Parteien akzeptiert. Das ist in Deutschland noch nicht der Fall. Aber schon jetzt gelingt es dem Rechtspopulismus auch hierzulande, das politische Klima zu beeinflussen und die Ausrichtung der anderen Parteien nach rechts zu verschieben. Das ist vor allem in den Auseinandersetzungen zur Migrations- und Flüchtlingspolitik erkennbar. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in anderen europäischen Ländern spricht derzeit wenig für eine schnelle Rückkehr zu jener demokratischen Stabilität, die einst die Bonner Republik auszeichnete. Vielmehr haben wir uns auf eine langwierige Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus einzustellen. Die politische Agenda des nächsten Jahrzehnts wird in Europa vom Kampf gegen den Rechtspopulismus und die Re-Nationalisierung der Politik geprägt sein. Die Bundestagswahl 2017 Neben der FDP war vor allem die AfD die eigentliche Gewinnerin der Bundestagswahl 2017. In den ostdeutschen Bundesländern hat sie insgesamt Ergebnisse einer Großpartei erzielt, in Sachsen ist sie mit 27 Prozent sogar die stimmenstärkste Kraft. Nach den Analysen von infratest dimap haben überdurchschnittlich viele Arbeiter_innen und Arbeitslose (jeweils 21 Prozent) die AfD gewählt, aber auch in anderen Berufsgruppen und bei Wähler_innen im Bereich der mittleren Bildungsabschlüsse konnte sie Stimmen im zweistelligen Bereich für sich gewinnen (infratest dimap 2017). Bei den Gewerkschaftsmitgliedern hat die AfD mit 15 Prozent leicht überdurchschnittliche Unterstützung; bei den Gewerkschaftsmitgliedern im Osten liegt sie mit 22 Prozent gleichauf mit der Linkspartei (DGB 2017). Gerade in den Kohorten, die von Erwerbstätigen geprägt werden, verzeichnet sie Zugewinne, und zwar insbesondere bei den Männern in der Altersgruppe von 25 bis 59 Jahren. Bei den Männern in Ostdeutschland ist die AfD mit 26 Prozent die stärkste Partei - hier erreichte sie 13 Prozentpunkte mehr als bei den Männern im Westen (Welt 2017). Die AfD hat im Vergleich zur vorausgegangenen Bundestagswahl über 3,8 Millionen Wähler_innen hinzugewinnen können, darunter 1,2 Millionen frühere Nichtwähler_innen. Stimmen kamen ebenfalls von der CDU (980.000), der SPD (470.000), der Linken (400.000) und sonstigen Parteien (690.000). 61 Prozent ihrer Wähler_innen geben "Protest" als Wahlmotiv an, zugleich sind aber für 76 Prozent die angebotenen Sachthemen wichtig, während das Spitzenpersonal keine Rolle spielt. Im Vergleich zu anderen Erfolgsgeschichten des europäischen Rechtspopulismus reüssiert die AfD auch ohne Führungsfiguren wie beispielsweise Jörg Haider und Heinz-Christian Strache in der österreichischen FPÖ oder Marine Le Pen im französischen Front National. Verortet man die AfD auf der Landkarte der sozialen Milieus, wird deutlich, dass der Rechtspopulismus ein soziales Mitte-Unten-Bündnis repräsentiert. Im prekären Milieu der Unterklasse hat sie laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung mit 28 Prozent ihr bestes Ergebnis und ihre stärksten Zuwächse. Aber auch im Milieu der Bürgerlichen Mitte (20 Prozent AfD-Zustimmung) und im Traditionellen Milieu (16 Prozent), das Soziallagen der Unterklassen und der Mittelklassen umfasst, hat die AfD überdurchschnittliche Ergebnisse und Zuwächse erzielt. "Damit ist die AfD bei der Bundestagswahl 2017 von unten in die Mitte eingedrungen und hat sich dort als rechtspopulistische Protestpartei der sozial-kulturell Abgehängten und der sich sozial-kulturell bedrängt fühlenden Mitte etabliert", resümieren die Autor_innen Robert Vehrkamp und Klaudia Wegschaider (Vehrkamp/Wegschaider 2017: 60) und ziehen einen interessanten Vergleich zur Bundestagswahl 1998: "Das soziale Profil und Mobilisierungsmuster dieses Schröder/Lafontaine-Effekts [] ähnelt stark dem sozialen Profil und Mobilisierungsmuster des AfD-Effekts bei der Bundestagswahl 2017. In beiden Fällen führten Wahl- und Mobilisierungserfolge in den sozial benachteiligten Nichtwählermilieus zu einer spürbaren Verringerung der sozialen Spaltung der Wahlbeteiligung" (ebd.: 11). Das Thema Flüchtlingspolitik konnte den Bundestagswahlkampf vor allem deshalb dominieren, weil es sich als ideale Projektionsfläche eignet, um es mit anderen Problemfeldern - von innerer Sicherheit bis sozialer Gerechtigkeit - zu verbinden. Zugleich steht es für das Brüchigwerden klarer Grenzziehungen: In der globalisierten Gesellschaft lösen sich die vormaligen Trennungen von Außen- und Innenpolitik und von nationalstaatlicher Politik zunehmend auf. Die Versprechen des Rechtspopulismus zielen demgegenüber auf die Wiederherstellung der Vergangenheit als Zukunftsprogramm, auf eine imaginierte alte Ordnung, in der es "uns" (verstanden als ethnisch homogenes Wir) noch gut zu gehen schien. In die gleiche Richtung weist der AfD-Wahlkampfslogan "Hol Dir Dein Land zurück". In ihn lassen sich alle Verlustängste projizieren. Die Flüchtlinge sind - wie es Zygmunt Bauman mit Brecht formuliert - die Boten des Unglücks (Bauman 2017: 20). Sie erinnern zum einen an die eigene soziale Verwundbarkeit, die es abzuwehren gilt, sie repräsentieren zum anderen eine zerfallende Weltordnung, welche vielen im globalen Norden eine hegemoniale Lebensweise ermöglicht hat, die global nicht verallgemeinerbar ist (McCarthy 2015: 375). Diese alte Ordnung, deren sozialen Preis andere zu zahlen hatten und haben, droht wegzurutschen. Der Rechtspopulismus ist insofern der radikale Ausdruck und radikalisierender Faktor einer Politik, die vom Elend der Welt nicht berührt sein will. Die Weltpolitik rückt mit den Flüchtlingen gewissermaßen vor die eigene Haustür. Hinzu kommt: Im Osten ist der Geschichtsbruch von 1989 mit seinen Kontroll- und Traditionsverlusten sowie Entwertungserfahrungen längst nicht aufgearbeitet. Medial und politisch wird er ausschließlich mit dem Freiheitsgewinn verknüpft. Dass mit ihm auch soziale Verlusterfahrungen verbunden sind, verbleibt im Bereich des Vorpolitischen. Nun scheint gerade für die älteren Generationen ein neuer Geschichtsbruch zu drohen, gegen den "das Gestern" - ohne die "Zumutungen" ethnischer Vielfalt - wieder als heile Welt erscheint. Der Rechtspopulismus und seine soziale Basis Die wahl und parteiensoziologischen Befunde im internationalen Kontext bestätigen eine fortschreitende Abkoppelung sozialer Unter und Arbeiter_innenklassen von ihren früheren politi...

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