In unsicheren Zeiten, wie es in den Monaten vor und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 der Fall war, haben Gerüchte Hochkonjunktur, so auch in Oberursel.

Die Auswertestelle der Luftwaffe war abgezogen und US-Soldaten hatten Häuser, Baracken und Wiesen mit Stacheldraht eingezäunt. Ein kleines Wachhaus und eine Schranke markierten an der Hohemarkstraße den Eingang. Ein Torbogen aus Plastik trug das Schild mit der Aufschrift "Camp Sibert, 7707 United States Forces European Theatre, Military Intelligence Service Center". Eine Zentralstelle für den Geheimdienst der US-Besatzungstruppen? Vermutungen und Gerüchte bekamen immer neue Nahrung.

Berühmte Nazigrößen sollten hier als Gefangene untergebracht sein und verhört werden, sagte man. Namen wie der von Feldmarschall Albert Kesselring und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht wurden kolportiert. Von Albert Speer wurde gesprochen, und im Garten des Lehrerinnenheims soll Hermann Göring gesehen worden sein. Oberurseler, die als Köchin, Handwerker oder Hilfskräfte Arbeit und Verpflegung im Camp gefunden hatten, waren keine verlässlichen Informanten. Das Geheimnis blieb.

Heute sind in Archiven und Geschichtsscheibung die tatsächlichen Vorgänge weithin dokumentiert. Dennoch blieben sie nur schwer nachvollziehbar. Hier hat der neue Roman "Ritchie Girl" von Andreas Pflüger (Suhrkamp-Verlag), einen wichtigen Platz. Der Autor hat nach umfassendem Studium der Fakten das Geschehen literarisch verdichtet. In der Lebensgeschichte seiner Hauptperson, der US-Offizierin Paula Bloom, und besonders in ihrem Dienstauftrag, der sie nach Oberursel führt, spiegeln sich markante Ereignisse, gewinnen Namen Gestalt, werden Zusammenhänge und Hintergründe offenbar, die ein spannendes Zeitbild ergeben. Leserinnen und Leser können spüren, dass der Roman der Wirklichkeit näher kommt als ein datenreiches Sachbuch.

Zur Abendveranstaltung am 22. Oktober 2021 im großen Sitzungssaal des Rathauses in Oberursel laden die Arbeitsgemeinschaft Zeitgeschichte/Camp King und der Kultur- und Sportförderverein Oberursel e.V. herzlich ein. Andreas Pflüger wird einen Einblick in die Entstehungsgeschichte seines Romans geben und daraus vorlesen. Die lokalen Aspekte wird Stadthistoriker Manfred Kopp einbringen.

Teilnahme nach 3G-Regel (geimpft, genesen, getestet. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, garantiert aber einen Platz (max. 60 Teilnehmende). Adresse: struckobu@t-online.de

Büchertisch: Buchhandlung Libra, Oberursel